Olivier Bessy

Trails sind multisensorielle Erlebnisse

Text
César Deffeyes
Copyright
©The North Face® Ultra-Trail du Mont-Blanc® – Franck Oddoux
Erscheinungstermin
05.07.2016

Die Trail- und Ultratrailsaison ist gerade in vollem Gang. Olivier Bessy (58), Sport­soziologe und Dozent an den Universitäten Lausanne und Pau (F), entschlüsselt für uns die steigende Popularität dieser Ausdauerläufe, bei denen die Berge eine zentrale Rolle spielen. Er hat mehrere Bücher über Kultrennen wie den Ultra-Trail du Mont-Blanc oder den Grand Raid in La Reunion geschrieben und ist selbst Trailläufer. Besser als er kann man das Thema kaum kennen.

Wie sind Trails und Ultratrails entstanden?

Trails haben ihren Ursprung in den 1970er-Jahren, als einfache Wanderer beschlossen, auf ihren Lieblingswegen in den grossen Weiten der USA zu laufen statt zu spazieren. Dass Nordamerika die Wiege des Trails ist, folgt einer gewissen Logik. Die USA sind ein leistungsorientiertes Land, in dem der Körperkult eine grosse Rolle spielt und in dem auch das Jogging entstand und der Marathon und die Abenteuerraids populär geworden sind.

Ein paar Jahre später ist der Trend auch in Europa angekommen...

Ja, in den 1980er-Jahren erst zögerlich. 1990 bis 2000 brach dann ein regelrechter Boom aus. 1995 gab es in Frankreich vier Trails, davon einen Ultra, 2015 waren es bereits 2500, wovon 85 Ultras. In den letzten zehn Jahren hat das Phänomen rasant zugenommen. Trailläufe haben sich vervielfacht und sind schwieriger geworden. Der jedes Jahr im Aostatal (I) organisierte „Tor des Géants“ führt über 330 Kilometer und entspricht kumulierten 24’000 positiven Höhenmetern!

Wie erklären Sie sich diesen Hype?

Er entspricht einer echten Nachfrage, vielleicht sogar einem Bedürfnis. Trailläufer betreiben oft einen Leistungskult und wollen über sich hinauswachsen. In unserer heutigen „Sitzgesellschaft“, in der familiäre, soziale und religiöse Referenzen immer mehr verschwinden, können Trailläufe ein Weg sein, sich eine sinngebende und mit Anerkennung verbundene Identität zu schaffen. Es entsteht zudem eine Art kollektive Identifikation: Wer einen Ultratrail zu Ende läuft (Anm. d. Red.: die Finisher) trägt oft das T-Shirt, das er erhalten hat, als wäre es eine Trophäe. (...)

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Olivier Bessy
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