Montreal

Cold & Cool

Text
Claude Hervé-Bazin
Copyright
Keystone
Erscheinungstermin
19.03.2018
Montreal
Montreal

Kälte konnte die Quebecer noch nie abschrecken. Während Europa bereits mit dem Frühling liebäugelt, wird an den Ufern des Sankt-Lorenz-Stroms noch geschlottert. Aber was macht das schon? Montreal schaltet deswegen noch lange keinen Gang herunter. Im Schneetreiben und an Festivals geht die Post ab.

Um die Welt auf den langen Winter aufmerksam zu machen, wird schon seit Jahren mächtig die Werbetrommel gerührt. Man verlässt sich dabei nicht auf die Einheimischen, die ihre Heimat und den Winter besingen. Da muss schon mehr gehen. Ein paar Beispiele gefällig? Am Quebec Winter Carnival wird mit Schneeskulpturen-Wettbewerben und Schneebädern für Stimmung gesorgt und Schneemobile verwandeln jedes Jahr 33’700 Kilometer in einen weissen Teppich. Ausserdem werden Schlittenhunde versprochen, endlose Weiten angepriesen und Kälteeinbrüche mit Temperaturen von bis zu -20° prophezeit. Im Wind fühlen sie sich sogar an wie -40°, heiliges kanadisches Ehrenwort.

Wie in der Gefriertruhe
In Montreal dauert der Winter lang, sehr lang. Also packt man sich warm ein. Wer früher nicht in den Süden Richtung Miami zog, ergab sich seinem Schicksal und stapfte im Slush (Stiefel obligatorisch, Tauchermaske und Schnorchel bei Schmelzwetter von Vorteil). Bleich, aber gut geschützt vor der sibirischen Kälte bewegten sich die Einwohner in der Untergrundstadt Réso – einem 33 Kilometer langen Tunnelsystem mit unzähligen Shops – fort. Unterirdisch ging es früher vom Büro ins Einkaufszentrum, vom Hotel zur Uni oder vom Bahnhof ins Museum. Aber damit ist Schluss. Der Winter ist zwar noch da, die Blizzards auch und die Réso ist noch grösser als früher. Die Stimmung aber hat sich grundlegend geändert. Heute ist der Winter cool!
In Montreal ist immer etwas los. Auf der Insel Bonsecours und auf dem Lac aux Castors wird Schlittschuh gelaufen. Wer lieber skifährt, schlittelt, Schneeschuhwanderungen unternimmt oder auf den Langlaufloipen unterwegs ist, kommt ebenfalls nicht zu kurz. Ganz Montréal tummelt sich im Schnee, am liebsten mit dem guten alten Crazy Carpet. Danach geht’s ins Plateau-Viertel, wo man sich bei einer heissen Schokolade aufwärmt oder sich im Chat l’Heureux bei Brownies und Matous ein paar Streicheleinheiten holt. Etwas weiter liegt der Parc Laf’ (Lafontaine), in dem im März die Hipster und Albino-Eichhörnchen ihre Nase in die frische Luft strecken.

Montreal kann auch warm
Wintersport ist gut, aber nicht alles. Die Einwohner von Montreal haben sogar unter ihren Ohrenwärmern aus Kaninchen- oder Kojotenfell ein feines Gehör. Sie erkennen coole Cafés und gute Gigs aus meilenweiter Entfernung. Die meisten Lokale im Plateau-Viertel sind daher auch prop­penvoll. Das liegt wohl auch daran, dass die Minustemperaturen im Freien im krassen Gegensatz zur Warmherzigkeit und Gastfreundschaft der Quebecer stehen. An den langen, düsteren Abenden stossen sie gerne miteinander an und vertreiben sich die Zeit mit Spielen.
Natürlich wird zu jeder Tages- und Nachtzeit Poutine gegessen. Die mit Käse überbackenen und mit brauner Sauce gewürzten Pommes Frites sollen gross und stark machen. Vor La Banquise an der Rue Rachel Est 994 stehen die Gäste manchmal sogar nachts Schlange. Dort werden riesige Portionen des kanadischen Nationalgerichts serviert. Im rund um die Uhr geöffneten La Place stehen sogar 30 Varianten zur Auswahl. Wussten Sie übrigens, dass in Montreal jeweils im Februar die Poutine-Woche gefeiert wird?
Wer doch nicht so richtig kälteresistent ist, sollte einen Spa-Besuch einplanen. In den Sprudelbecken des Boto Bota gegenüber dem alten Hafen zum Beispiel tauen gefrorene Zehen wieder auf.

Tanzen im Schnee
Ein Openair mitten im Winter? Auch da bekommen die Quebecer keine kalten Füsse. Am Igloofest tanzen sie an drei Wochenenden im Januar und Februar zum Electro Sound von Weltstars im Schnee.

Zwischen Februar und März findet mit dem Lichterfest Montreal en lumière eines der grössten Winterfestivals der Welt statt. Die Idee dahinter: die kalte Jahreszeit zu feiern statt sie zu verfluchen. Knapp eine Million Lebenslustige strömen dabei in das Spectacles-Quartier. Musik, Kino, Tanz, visuelle Künste, Gastronomie und vielfältige Gratisaktivitäten im Freien sorgen für ein unvergessliches Spektakel, das in der Nuit Blanche gipfelt. 2018 stehen 600 Künstler und 226 Shows, eine 180 Meter lange Seilrutsche und ein Urban Slide auf dem Programm. Das soll Montreal einmal jemand nachmachen.

www.mtl.org
www.quebecoriginal.com
www.montrealenlumiere.com

Nordamerika mit dem Flugzeug
Ein langes Wochenende in Aussicht? Mehr braucht es nicht, um die nordamerikanische Frische einzuatmen. Air Canada fliegt direkt von Genf nach Montreal, Abflug jeweils um 12.00 Uhr, Ankunft um 14.20 Uhr. Swiss bietet zudem Verbindungen nach New York (JFK) und United nach Washington an.

www.gva.ch / www.flughafen-zuerich.ch

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