Gilles Sierro

„Nicht mehr skifahren als sterben!“

Text
Laurent Grabet
Copyright
David Carlier
Erscheinungstermin
27.12.2018
Gilles Sierro
Gilles Sierro
Gilles Sierro

Die breite Öffentlichkeit kennt ihn aus dem Film 13 Walliser Abfahrten von David Carlier. Dort war „Gilles der Skifahrer“ zu sehen, wie er die schwindelerregende Ostwand der Dent Blanche hinunterfuhr. Der Bergführer und Extremskifahrer über seine ausgefallene Leidenschaft und die Gründe, warum er für fast jede Verrücktheit zu haben ist.

„Ein noch so banaler Skitag ist immer noch schöner als jeder andere Tag“. Gilles Sierro macht keinen Hehl aus seiner verzehrenden Leidenschaft. Es sei eine Sucht, doppelt er nach. Überraschend kommt sein Geständnis nicht. Schliesslich ist er als „Gilles le skieur“ bekannt wie ein bunter Hund und trägt stolz ein T-Shirt mit der Aufschrift „Pray for snow“.
Der 39-jährige Walliser wagt sich an Hänge mit 55 Grad Gefälle und mehr. Solche Gelände verzeihen keinen Fehler, jeder Sturz kann tödlich enden. Gilles Sierro weiss das und akzeptiert es. „Ich habe mich intensiv damit auseinandergesetzt“, sagt er, überlegt kurz und fügt dann hinzu: „Wenn ich nicht mehr skifahren könnte, wäre das schlimmer als der Tod.“ Am ehesten fürchtet er einen schweren Unfall, der ihn an den Rollstuhl fesselt und verhindert, dass er dem Ruf der Berge folgt.
Gilles Sierro ist kein Wahnsinniger und auch kein Hitzkopf. Er geht keine unnötigen Risiken ein. „Ich will mit dem Extremskifahren weder mir selbst noch anderen etwas beweisen. Ehrlich gesagt mag ich das Wort „extrem“ nicht, denn es legt nahe, dass Berge Fantasiegebilde sind.“ Er wolle einfach nur das intensive Gefühl dieser Momente spüren, betont er. Abfahrten über „steile, direkte und exponierte Hänge“ erfüllen ihn aber doch mit Stolz. Ein ganz besonderes Erlebnis war die Abfahrt über die Ostwand der Dent Blanche im Juni 2013. „Olivier Roduit, Yannick Pralong und ich haben acht Jahre lang jeden Morgen davon geträumt. Nach vollendeter Tat haben wir zwei Tage gewartet, bevor wir die Sache mit stolzgeschwellter Brust publik gemacht haben.“ Bei solchen Höchstleistungen klar im Kopf zu bleiben und nicht falschen Anreizen nachzugeben, ist schwierig, doch Gilles Sierro widersteht der Versuchung. „Die Ego-Phase nach dem Exploit ist gefährlich. Sie bewirkt eine Flucht nach vorne und versursacht Fehler, ein klassische Falle“, erklärt er. Mit der zunehmenden Bedeutung der Social Media scheint das Bekanntmachen wichtiger geworden zu sein als das Machen. Mehrere Extremsportler sind deshalb bereits tödlich verunglückt. Gilles Sierro hat sein eigenes Rezept gegen diesen gefährlichen Druck. Er nimmt von seinen Sponsoren kein Geld an, um von ihnen gewünschte Runs zu absolvieren.

Eine fast mystische Freude
Ruhm sucht Gilles Sierro keinen. Seine Motivation ist die fast mystische Freude, die er beim Aufstieg und bei der Abfahrt unberührter Hänge empfindet. Am meisten mag er die intensive Konzentration, die von ihm Besitz ergreift, der Alltag, der sich beim Anblick der schönen Gipfel in Luft auflöst, die Verbundenheit mit den Bergen und die plötzliche Klarsicht, die „wohl auch ein Free-Solo-Kletterer spürt“. Unterschwellig ist das Risikobewusstsein stets präsent, Sierro kann aber gut damit umgehen, indem er sich entsprechend vorbereitet. „Für solche Abfahrten muss man körperlich, technisch und vor allem mental topfit sein“, sagt er. Eigentlich seien es gleichzeitig Abfahrten ins eigene Ich, auf der Suche nach den persönlichen Grenzen.(...)

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