Äthiopien

Das Dach Afrikas

Text
Claude Hervé-Bazin
Copyright
Luisa Puccini
Erscheinungstermin
juin 2018
Äthiopien
Äthiopien

Über Äthiopien ist nur sehr wenig bekannt, dabei wurde in dem ostafrikanischen Binnenstaat Erd- und Menschheitsgeschichte geschrieben. Der Urmensch Lucy stammt aus Äthiopien, der Grosse Afrikanische Grabenbruch durchzieht das Land und der Blaue Nil entspringt im äthiopischen Hochland. Und sonst? Wie viele wissen, dass Äthiopien grösstenteils aus Bergen besteht, die im Glauben der Bewohner eine wichtige Rolle spielen? Wer kennt die in den Felsen gegrabenen Kirchen, die am Abgrund errichteten Klöster?

Schon bei der Landung wird klar: Äthiopien ist schwindelerregend. Addis Abeba liegt im Hochland von Abessinien 2355 Meter über Meer und ist somit die höchstgelegene Hauptstadt Afrikas. Morgens, wenn die ersten Hähne krähen, ist es noch frisch und die Metropole in Dunst gehüllt. Auf dem Mercato, dem grössten Markt Afrikas und wirtschaftlichen Herz der Stadt, tobt jedoch bereits das Leben. Neben völlig überladenen Lastwagen stapeln sich Eisenwaren, Plastikkanister und Hühnerkäfige in einem unermesslichen, aber irgendwie poetischen Durcheinander. Die Luft ist erfüllt von einem undefinierbaren Geruch, in dem ein Aroma aber unverkennbar heraussticht. Trotz Reizüberflutung riecht man den starken, in Metallschalen gerösteten Arabica, der seinen Ursprung in Äthiopien hat.

Steinerne Gebetshäuser
Die wirkliche Reise beginnt in Lalibela auf 2630 Metern Höhe. In diesem Wallfahrtsort wurden Ende des 12., Anfang des 13. Jahrhunderts elf Felsenkirchen in den vulkanischen Tuffstein hineingebaut. Die eindrucksvollste, Bet Giyorgis oder Georgkirche, hat die Form eines Tempelkreuzes. Sie ist über tiefe, schmale und mehrere hunderte Meter lange Tunnel-, Treppen- und Labyrinthsysteme mit den anderen aus dem Felsen gehauenen Gotteshäusern verbunden. Mitten durch die Kirchen zieht sich das ausgetrocknete Flussbett des äthiopischen Jordan. Entstanden ist die Pilgerstätte, weil Negus (König) Lalibela durch die Ausbreitung des Islams vom Heiligen Land getrennt wurde und daher beschloss, ein schwarzes Jerusalem zu errichten. Noch heute werden hier die Riten der orthodoxen äthiopischen Kirche mit grosser Andacht gefeiert. Am Dreikönigstag schreiten riesige Menschenmassen singend, tanzend, frohlockend und musizierend in einer ohrenbetäubenden Prozession zu den Heiligtümern.
Das stark religiös geprägte Land steckt voller heiliger Orte. Auf dem Tanasee, der in den Blauen Nil abfliesst, errichten die Menschen seit 700 Jahren Gotteshäuser. Auf rund der Hälfte der 37 Inseln befinden sich Kirchen und Klöster, die eine fast unwirkliche Ruhe ausstrahlen. Direkt darunter stürzt das „rauchende Wasser“ der gewaltigen Tissisat-­Wasserfälle in die Tiefe.

Land der Könige, Kaiser und Priester
In Aksum im Norden des Landes erinnern prunkvolle Grabkammern und monumentale Stelen an eine Dynastie, die acht Jahrhunderte über ein unermesslich mächtiges Reich herrschte. Es soll von der Königin von Saba, der Frau des Judenkönigs Salomon, gegründet worden sein. Zusammen haben sie Menelik I. gezeugt. Er soll die israelitische Bundeslade, die nach biblischer Darstellung die Steintafeln mit den Zehn Geboten Moses enthält, nach Aksum geholt haben. Benebelt von Weihrauchdämpfen und im Wissen, dass er den Schatz zu seinen Lebzeiten nicht aus den Augen lassen darf, wacht noch immer ein Mönch in der Kirche der Heiligen Maria von Zion über die Reliquie.
Hinter Aksum klebt an einer mächtigen Steinfestung eine weitere religiöse Kultstätte. Die Felsenkirche Abuna Yemata Guh ist nur mit viel Gottvertrauen und körperlicher Anstrengung erreichbar. Barfuss muss man über einen kurzen Felsen klettern, auf vereinzelten Stufen Halt suchen und sich an Griffe klammern, die durch viele Tausend verschwitzte Hände glatt geworden sind. Kurz vor dem Ziel geht es über einem 500 Meter tiefen Abgrund einem langen und sehr schmalen Felsband entlang bis hin zur erlösenden Felsnadel.
Noch bessere Kletterkünste erfordert das Kloster Debre Damo nahe der Grenze zu Eritrea. Es thront auf einem 15 Meter hohen Überhang und ist nur über ein herabhängendes Seil zugänglich. Frauen entkommen der Bewährungsprobe: Wie in vielen orthodoxen Heiligtümern ist ihnen der Zugang untersagt.

Highway to hell
Das äthiopische Hochland erstreckt sich von 1300 bis auf 4533 Meter Höhe. Es gipfelt im einfach begehbaren Ras Daschä im Säman-Gebirge, das als Nationalpark und als UNESCO-Welterbe geschützt ist. Seine hängenden Terrassen, tiefen Täler und furchteinflössenden Abgründe sind die Heimat des Äthiopischen Wolfs und des Dschelada oder Brustpavians.
Im Osten fällt das Plateau abrupt ab. Oberhalb schier endloser Wüstenebenen bildet es auf einer Länge von fast 600 Kilometern eine nahezu unüberwindbare Schranke. Eine steinige, staubige Strasse, auf der mit Salz beladene Dromedare vorwärtstrampeln, führt im Land der Afar hinunter zum Grossen Afrikanischen Grabenbruch, wo sich der tiefste Punkt Äthiopiens befindet. Die 125 Meter unter dem Meeresspiegel gelegene Danakil-Senke ist die heisseste Region der Erde. Mit 47 Grad im Juni und Spitzenwerten von über 50 Grad erreicht sie eine mittlere Jahrestemperatur von 35 Grad. Warum sollte man sich in einen solchen Backofen begeben, dazu noch in bewaffneter Begleitung? Ganz einfach, weil die von den heissen Schwefelquellen gelb und rostrot gefärbte Wüste ein unvergesslicher Anblick ist und weil die übernatürliche rote Schönheit der beiden abwechselnd brodelnden Lavaseen des Erta Ale („rauchender Berg“) ihresgleichen sucht.

www.ethiopia.travel

Von Zürich direkt nach Afrika
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