Portfolio

Alex Strohl

Alex Strohl

Der Ruf des Nordens
Text
Claude Hervé-Bazin
Copyright
Alex Strohl
Erscheinungstermin
05.03.2020

Alex Strohl hat aus Zufall zur Fotografie gefunden. Das Schicksal hat dem gebürtigen Franzosen einen wunderbaren Beruf beschert: Er bereist die Welt und hält seine Eindrücke in ausdrucksstarken Bildern fest. Einen Ort mag er besonders: den US-Bundesstaat Montana, wo er heute lebt und wo schon sein Vater oft unterwegs war. Seine Wahlheimat, das Flathead Valley, nutzt er als Rückzugsort in unserer hektischen Welt.

Ist die Fotografie für Sie ein Beruf oder eine Leidenschaft?
Ich hatte eigentlich nie vor, Fotograf zu werden. Als Kind bastelte ich Computer und fing an zu fotografieren, weil ich Bilder für Photoshop brauchte. Später lud ich viele Fotos auf Flickr hoch. Wir wohnten damals an einem entlegenen Ort in der Ardèche. Ich ging oft im Wald spazieren, fotografierte wie wild und bearbeitete die Aufnahmen dann am PC. Nach der obligatorischen Schulzeit studierte ich Grafikdesign. Die Fotografie war für mich erst nur ein Hobby. 2012 gründete ich nach einem einem Umzug nach Vancouver zusammen mit Maurice Li die Fotografen-Agentur Stay and Wander.
In meiner Freizeit bereiste ich die Westküste Kanadas und postete jeden Tag Bilder auf Instagram. Dort bekam ich immer mehr Follower. Maurice meinte, ich solle mein Portfolio auf die Website der Agentur stellen. So landete ich beruflich hinter der Kamera!

Wie lautet Ihre Lebensphilosophie?
Ich mag das einfache Leben und bin überzeugt, dass wir unser Schicksal beeinflussen können. Wenn wir etwas wirklich wollen, können wir gezielt darauf hinarbeiten und uns dem Ziel nähern. Und ich glaube fest dran, dass alles, was geschieht, einen Grund hat. Wichtig ist, wie wir mit dem Ereignis umgehen. 2019 führte ich das ganze Jahr ein Tagebuch. Dabei wurde mir klar, dass ich von Grund auf glücklich bin. Ich versuche, jeden Tag zu leben, als sei es der letzte, und mich vor nichts zu fürchten.


Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg im Web? Liegt es am Humor, am Optimismus oder daran, dass Sie vor allem abgeschiedene, unberührte Orte fotografieren?
Ich bin 2011 auf Instagram aufgesprungen, als es noch in den Kinderschuhen steckte. Das erklärt schon vieles. Dann denke ich auch, dass mein Wunsch nach neuen Erfahrungen ansteckend wirkt und die Leute vor dem Bildschirm Lust bekommen, mich auf meinen Reisen zu begleiten, wohin ich gehe. Ich bin mit Leib und Seele bei der Sache und wenn jemand so ehrlich und begeistert ist, verspüren viele den Wunsch, ihn nachzuahmen.

Mal ganz ehrlich: Gibt es auf unserem Planeten wirklich noch geheime Orte?
Ja sicher! Man bräuchte hundert Leben, um sie alle zu besichtigen. Geheime Orte, die nur von ganz wenigen Menschen betreten wurden, gibt es 30 Minuten von meinem Zuhause in Montana entfernt. Der Nordwesten der USA ist in dieser Hinsicht aufgrund seiner riesigen Flächen und der geringen Bevölkerungsdichte einzigartig. Die Gebiete hinter der kanadischen Grenze sind noch zehnmal dünner besiedelt. Yukon, Alaska, Nunavut, Grönland und Sibirien sind voller fantastischer Flecken, an denen man sich leicht verirren kann.


Welche Regionen mögen Sie am liebsten?
Alle, wo Meer und Berge aufeinandertreffen, wie beispielsweise Norwegen, Alaska und Patagonien. Ich ertappe mich dabei, dass ich zunehmend Orte suche, die «weit weg sind von der Welt», wie einige Täler im Kaukasus.


Weshalb sollte man sich hin und wieder verirren?
Sich aus der Komfortzone wagen, in Regionen, über die kaum etwas bekannt ist, sehe ich als die ultimative Freiheit. Danach strebe ich. Ich will die Freiheit haben, mich verirren zu können. Dazu muss ich nicht 8000 Kilometer von meinem Zuhause weg sein, man kann sich auch in seiner eigenen Region verirren. Ich bin 45 Minuten von Madrid entfernt aufgewachsen und habe mich jedes Wochenende zum Biken in einsame Gegenden aufgemacht. Glauben Sie mir, davon gab es viele!


Was sind Ihre Lieblingssujets?
In den letzten acht Jahren stand die Interaktion zwischen Mensch und Natur im Fokus. Wenn ich wählen müsste, würde ich mich vermutlich für die Natur entscheiden, aber der Mensch hat bei meiner Arbeit ebenfalls einen grossen Stellenwert, weil er eine Verbindung zwischen dem Bild und dem Betrachter herstellt. Auch wenn nicht auf allen meinen Bildern Menschen zu sehen sind, so deute ich ihre Anwesenheit doch gerne an, zum Beispiel, indem ich eine halb erleuchtete Berghütte in der Nacht zeige.


Wie halten Sie es mit Schwarz-Weiss-Aufnahmen?
Ich bin ein unverbesserlicher Optimist, für mich ist das Leben ein einziges Leuchten. Farben und Lichtverhältnisse haben in meinem Empfinden daher eine grosse Bedeutung. Schwarz-Weiss-Aufnahmen finde ich zu wenig lebendig. Ausserdem muss man für solche Bilder meistens bei extremem Licht arbeiten, denn sie werden durch starke Kontraste zum Leben erweckt. Ich fotografiere lieber im warmen, sanften Abendlicht.

Welche Aufnahme war für Sie die bisher schwierigste?
Ich habe glücklicherweise ein sehr selektives Gedächtnis und vergesse schwierige Momente recht schnell. Das hilft mir, nach einer komplizierten Fotosession sofort wieder loszulegen. Aber gerade letzte Woche habe ich etwas Verrücktes erlebt. Ich arbeitete im Auftrag eines nordamerikanischen Telefonanbieters. Das völlig abstruse Konzept bestand darin, nachts einen Berghang während eines Wintersturms zu beleuchten. Vor dieser irrealen Kulisse sollte ein Skifahrer in einem einzigen Versuch über einen schneebedeckten Baum springen und ihn leicht mit den Ski berühren, um Schnee aufzuwirbeln. Wir haben im eiskalten Wind nahezu eine Stunde damit verbracht, sechs Spots zu platzieren. Dann habe ich mich hinter der Kamera in Position gebracht und wir haben heruntergezählt. Zu unserer Überraschung lief alles genau nach Plan und der Skifahrer landete auf den Füssen!

Enthalten Ihre Bilder eine Botschaft?
Ich denke gerne darüber nach, wie sie auf andere wirken könnten. Welche Empfindungen werden sie hervorrufen? Ich mag es, den Betrachter in das Erlebte hineinzuziehen, damit er es nachempfinden kann. Das weckt in mir die Lust weiterzumachen.

Welches Material verwenden Sie?
Neben meinen diversen Canon-Kameras bin ich ein Fan von Drohnen. Damit lassen sich viele Bilder aufnehmen, für die man sonst einen Helikopter brauchen würde, aber ohne vergleichbare Kosten und ohne CO2-Ausstoss. Das wasserdichte Gehäuse hat mein Wirkungsfeld ebenfalls vergrössert. Meine Lebenspartnerin liebt das Meer und das Surfen. Ich hingegen nicht. Wenn wir nach Mexiko fuhren, überlegte ich stets, was ich dort wohl fotografieren könnte. Dann entdeckte ich das wasserdichte Gehäuse, das mir die Tür zur Unterwasserwelt öffnete. Ich frage mich, warum ich nicht schon früher auf die Idee gekommen bin, schliesslich gehören Wasser und die Farbe Blau zu meinen Arbeitsthemen.

Wie arbeiten Sie? Vertrauen Sie auf das Glück oder planen Sie alles im Detail, abhängig von Jahreszeit, Licht und Möglichkeiten?
Meine Arbeitsweise ist eine Mischung von beidem. Ich nenne es «Glück planen». Wenn man die Wetterverhältnisse kennt und genau weiss, wohin man geht, kann man auf einen grossen Glückstreffer hoffen, wie zum Beispiel Sonnenstrahlen, die abends durch tiefhängende Wolken dringen, einen schönen Morgendunst oder Tau, der frühmorgens auf den Blättern liegt. Je mehr man solche Fakten verinnerlicht, desto mehr kann man sich auf sein Bauchgefühl verlassen und ohne Vorbereitung, einfach aus einer Laune heraus mit nur wenigen Informationen sein Glück versuchen.

Sport hat bei ihren Abenteuern und auf ihren Bildern einen grossen Stellenwert.
Mein Pech oder mein Glück ist es, dass ich zu viele Ideen und zu viel Energie habe. Ich bin etwas hyperaktiv. Wenn ich mich körperlich verausgabe, spüre ich die Natur viel intensiver. Im Überlebensmodus ist es allerdings schwierig, die Energie kreativ zu nutzen. Also versuche ich, die goldene Mitte zu finden.

Welche Rolle spielen die Berge in Ihrem Leben und bei Ihrer Arbeit?
Ich bin am Fuss der Berge geboren und liebe es, sie jeden Tag zu sehen. Sie geben mir Energie. Ich fürchte und respektiere die Berge und habe das Gefühl, dass sie sich zunehmend verschliessen und uns abweisen, je näher wir ihnen kommen, sehe das aber als Herausforderung.

Wie wichtig ist Ihnen Umweltschutz?
Ich denke viel darüber nach. Unsere Generation ist voller Widersprüche. Ich kaufe zum Beispiel Zahnbürsten aus Holz, bestelle aber gleichzeitig auf Amazon. Genauso fahre ich mit dem Velo ins Studio, bin aber jeden Monat mit dem Flugzeug unterwegs. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto frustrierter bin ich, denn eigentlich wäre die einzige Möglichkeit, alles richtig zu machen, als Einsiedler zu leben, sein eigenes Gemüse anzupflanzen und sich nur noch mit dem Velo fortzubewegen. Nur wenige Menschen können so leben. Daher denke ich, dass wir alle unser Bestes geben, andere für das Thema sensibilisieren, aber nicht den Moralapostel spielen und bei anderen Schuldgefühle wecken sollten. Ich inspiriere die Leute lieber zu kleinen Schritten, denn das ermutigt sie, sich grössere Ziele zu setzen und Einstellungen zu überdenken. Ökologisch verhält sich niemand mustergültig und wir sollten alle vor unserer eigenen Haustür kehren.

Wie ist Ihr Buch Alternative Living entstanden?
Für Alternative Living bin ich auf Menschen zugegangen, die beschlossen haben, am Rand der Gesellschaft zu leben, sich in einen Wald oder mitten ins Nirgendwo zurückzuziehen. Ich beneide sie ganz offen darum und hoffe immer, dass ich der Person begegne, die mich überzeugt, es ihr gleichzutun.

Welche Beziehung haben Sie zur Schweiz?
Würde ich nicht in den USA leben, dann in der Schweiz. Das Land mit seinen schwindelerregenden Gipfeln gefällt mir extrem gut. Seit 2014 verbringe ich mindestens zwei Wochen im Jahr in der Schweiz und das wird sich auch nicht so schnell ändern. Meistens bin ich auf kleinen Strassen unterwegs, mache in Bergdörfern Halt und trinke Wasser aus dem Brunnen. Da ich nie in der Schweiz gelebt habe, neige ich dazu, sie zu idealisieren, aber das ist ok. Ich sehe sie als Land mit tiefen Tälern, das stolz auf seine Regionen ist.

Was sind Ihre Zukunftspläne?
Dieses Jahr werden meine Lebenspartnerin und ich Japan und dann Chile von Norden nach Süden durchqueren. Ich bereite eine Filmserie über die beiden Reisen vor, um allen, die etwas Ähnliches planen, zu zeigen, wie wir vorgehen. Es wird ein grossartiges Jahr!

www.alexstrohl.com