Weltrekord: Schweizer Gleitschirmprofi Patrick von Känel fliegt durch einen 152 Meter langen Tunnel.

Dieses Vorhaben verlangte von Patrick von Känel alles ab in Sachen Präzision, Technik und Feingefühl. Ende Mai gelang ihm nach monatelanger Vorbereitung Unglaubliches: Er flog mit seinem 1.7 Kilogramm leichten Gleitschirm durch einen 152 Meter langen Tunnel – eine Premiere im Sport. Rund 6 Sekunden dauerte die Flugzeit im Tunnel und nur ein einziger Testflug ging der erfolgreichen Durchführung im besagten Tunnel voran. «Es war schon eine Überraschung, dass es so schnell geklappt hat. Ich war doch rund eineinhalb Jahre in der Schweiz an vier verschiedenen Orten am Probieren gewesen, und habe nach 35 Versuchen wortwörtlich noch kein Ende des Tunnels gesehen. Darum war es für mich sehr eindrücklich, konnte ich in Italien schon beim zweiten Anlauf komplett durchfliegen.» Ursprünglich hatte er für das Projekt ein Zeitfenster von zehn Tagen eingeplant.

Spezielle Anforderungen für den Spezialflug
Das Unterfangen ist auf verschiedenen Ebenen eine besondere Herausforderung, denn für eine erfolgreiche Durchführung müssen mehrere Faktoren zusammenpassen: Fähigkeiten des Piloten, Design des Schirms, Länge des Tunnels, Neigung der Strasse, Anflug- und Landemöglichkeiten und natürlich die Wetterbedingungen. Als Pilot muss man technisch versiert, feinfühlig und äusserst präzise fliegen können. «Beim Anflug muss ich die ideale Geschwindigkeit und den perfekten Anflugwinkel finden, um dann beim Einflug in den Tunnel auf der exakt richtigen Höhe zu sein. Im Tunnel fliege ich konstant 20 Zentimeter über Boden, damit zur Decke genug Abstand übrigbleibt – zirka 40 Zentimeter.» Die Präzision, mit welchem er den Tunneleingang treffen muss, beschreibt von Känel mit einem Basketballwurf aus 30 Metern Entfernung, ohne den Korb zu berühren. Der Prototyp des Schirms wurde eigens für diesen Zweck vom Schweizer Gleitschirmhersteller ADVANCE entwickelt, in Zusammenarbeit mit von Känel und nach Monaten des Experimentierens. Zuerst ging es um die Reduktion der Schirmfläche von üblicherweise 23m2 auf 12m2. Danach mussten die Leinenmeter verkürzt werden, was in einem Gewicht von 1.4, statt üblicherweise 4 Kilogramm, resultierte. Und schliesslich konzipierten sie den Schirm so, dass er die gleiche Biegung wie der Tunnel hat. «All diese Änderungen machen den Schirm sehr anfällig und sorgen für schnelle Kurvenwechsel. Ich muss ihn wahnsinnig genau steuern.»

Eine folgenschwere Entdeckung während des härtesten Abenteuerrennens der Welt
Seit 2021 hat von Känel Ausschau nach dem geeigneten Tunnel gehalten, zuerst auf Google Earth und Maps. Dann hat er mehrere Erkundungstouren auf sich genommen, vor allem in der Schweiz. Paradoxerweise hat er den Tunnel zum denkbar unwahrscheinlichsten Zeitpunkt entdeckt: Bei seiner Teilnahme am Red Bull X-Alps 2023 während des Aufstiegs zum Skigebiet Latemar im Südtirol und zwar am zweitletzten Tag – in einer Phase also, in der ihm herzlich wenig Zeit für andere Gedanken blieb, als das Rennen als einer der Besten zu absolvieren. «Es war ein riesiger Zufall, dass ich an diesem Tag beim Tunnel vorbeikam, denn ich ging als einziger meiner Gruppe dieser Route entlang. Als ein dort stationierter Fotograf mich vom besagten Tunnel hinaus fotografiert hat, habe ich zu ihm gesagt ‚Hey, ein mega cooler Tunnel!‘ – und gleichzeitig daran gedacht, dass ich ihn mir fürs Projekt merken muss.»

Patrick von Känel – der Spitzenathlet aus dem Berner Oberländer
Der 29-jährige hat seine Leidenschaft fürs Gleitschirmfliegen früh entdeckt. Durch seine Eltern – beides begeisterte Gleitschirmpiloten – kam er früh in Kontakt mit dem Sport und griff bereits mit 14 Jahren selbst zum Schirm. Schon bald wurde ihm klar, dass er seiner neuen Leidenschaft oberste Priorität einräumen will. Mit zwanzig wurde er Testpilot beim Schweizer Gleitschirmhersteller ADVANCE und 2019 bestritt er das härteste Abenteuerrennen der Welt: Red Bull X-Alps, das Hike & Fly Rennen quer durch die Alpen. Im ersten Jahr reihte er sich bei den Finishern ein und bereits im zweiten Teilnahmejahr jagte er dem mittlerweile 8-fachen Sieger Chrigel Maurer nach und wurde Zweiter. Von Känel ist nicht mehr aus dem Sport wegzudenken und findet immer wieder neue Herausforderungen.